Bloß nicht das Gesicht verlieren

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„Haben Sie noch ein anderes Shampoo, günstiger als 20 Dollar?
„Yes, we have, here.”
„Sorry, that’s for 24 Dollar, it’s not cheaper.” – Achselzucken.

Taxi-Abholung Haus 93. Laut SMS ist der Fahrer vor Ort und ich soll mich beeilen. Kein Taxi zu sehen, aber vor Haus 99 steht ein Wagen. Durch den Regen gelaufen und mit den Worten „Sorry, ich dachte Nummer 99“, vom Fahrer empfangen worden. Leichte Verunsicherung meinerseits: „Aber ich habe 93 geschrieben, oder?“ „Yes.“ – Achselzucken.

Anfangs haben mich solche Situationen wahnsinnig oder auch sauer werden lassen. Das hat sich sehr gebessert. Aber ich befürchte, mich irgendwann zu Hause in Deutschland daneben zu benehmen. Sage ich dann im Büro auch „Nö, haben wir nicht“, nur weil das Gewünschte blöderweise gerade nicht in meinem Sichtfeld liegt? Ich mag es, wenn Dinge funktionieren und Pläne einfach erfüllt werden. Das macht das Leben so schön einfach. Ich schätze es auch, wenn mir meine Fehler mitgeteilt werden. Stattdessen höre ich Geschichten über Menschen, die ich kaum kenne und wundere mich, nach einer Meinung dazu gefragt zu werden, um irgendwann darauf zu kommen, dass es um mich geht und mir gerade ein Vorwurf gemacht wird. Dieses Herumgeeiere, das gerne mit „nicht das Gesicht verlieren“ tituliert wird mag ja höflich klingen, ist aber sehr zeitaufwändig und anstrengend.

Was ist unhöflich daran, eine unerfüllbare Bitte freundlich abzuschlagen oder Probleme im netten Ton auf den Tisch zu legen? Kommt ja sowieso aufs selbe am Ende hinaus.

Höflichkeit ist etwas wunderbares, aber Verkomplizierung macht nur wirr. In Asien ist diese Verwirrung sehr verbreitet. Dazu gehört auch, keine Fehler zuzugeben und nicht auf Probleme hinzuweisen. Nicht, weil man zu faul ist, sich Sache anzunehmen. Es gilt schlichtweg als unhöflich, andere auf Fehler hinzuweisen oder eine Frage zu verneinen. Der Verkäuferin im Drogeriemarkt war es wichtig, meiner Bitte nach einer Alternative nachzukommen. Dass die zweite Bitte nach etwas Günstigerem nicht bedient wurde, ist unwichtig. 50 % der Anfrage wurden immerhin erfüllt und sie musste nicht verneinen. Oft beschleicht mich trotzdem das Gefühl, dass diese Kultur wohlwissend als Ausrede benutzt wird, aber dafür fehlt mir der Beweis…

Letztens erwartete ich eine Paketlieferung. Es klingelt pünktlich unten an der Haupttür, ich lasse die Person hinein, die nur noch in den Fahrstuhl zu steigen braucht.

Nach fünf Minuten stehe ich immer noch, nun etwas ungeduldig, an meiner geöffneten Haustür. Da klingelt das Telefon.

„Hi, are you living in xx?“

„Yes.”

„I’m here for delivery.”

„Great, come to the 30. storey.”

„Yes, but I don’t know.”

„What you don’t know?”

Stille. Kurz darauf steht die Dame vor der Tür und gibt mir mein Paket. Ich frage, was das Problem gewesen sei. Antwort? Richtig: Achselzucken.

Ich liebe es, in diesem Land zu leben. Ich lerne jeden Tag dazu und passe mich zu vielen Gelegenheiten an. Das bringt in der Tat auch enorme Vorteile. Die Lebensweise hat mich entspannter und doch aufmerksamer werden lassen. Doch so ganz werde ich die hiesige Kultur in diesem Leben nicht mehr verstehen („Sie war stets bemüht“), aber das macht wohl auch das so spannende Leben in Singapur aus.

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